Angestrengt forschte ich in meinem Kollektiv an Erinnerungen. Das alles wusste ich bereits, ich tastete nur an der plätschernden Oberfläche nach seiner gewohnten Stimme und versuchte ihm nah zu sein.
(..) Der Abend dämmerte und die Gassen fingen sanft an zu rauschen, als leuchtende Einheimische und Touristen ihre kalten Innenräume verließen um der aufgewärmten Stadt vor der Nacht noch einmal warme Gedanken zu machen.
Der Morgen begann wie der Abend aufhörte. Mit einem Spaziergang durch wechselnd volle und leere, kleine und große, Straßen bergauf und bergab und jeder Menge Gesichter. Diesmal jedoch mit größerer Begleitung. Und gesprächigerer. Über Straßen die mein heutiger Wegweiser vorgab.
Ich hatte die letzten zwei- bis vierhundert Meter schon nicht mehr zugehört und mir fiel kaum auf, wie bunt die Menschen und Sträucher um uns herum geworden sind. Meine gesamte Aufmerksamkeit entglitt auf das gleich schlendernde Paar zweier Männer und plötzlich zuckte etwas in meinem Brustkorb zusammen, als ich die rhythmischen Fersen, die Beine entlang nach oben, über die verschränkten Arme auf den Rücken und die gleich hohen schaukelnden Schultern verfolgte und versuchte die zueinander gewandten, redenden Gesichter zu erkennen. Doch selbst ohne klarer Sicht und trotz fremd murmelndem Surren an meinem rechten Ohr, gab mir der hell gestreifte Pullover, der mir viel zu warm schien für diesen ungewöhnlich sonnigen Tag, sofort Gewissheit über den linken Spaziergänger. Und ich spürte wie mein Puls schneller wurde, das klopfende Blut nahezu meine Ohrläppchen erreichte. Hoffte gleichzeitig nicht den Einsatz in meinem Gespräch zu verpassen um auf den Eingang, wie eine Ausfahrt, in den Rosengarten zu unserer Rechten ankündigen zu können. Denn wir waren einen Schritt zu schnell um den Abstand beizubehalten, ich wurde nervös und lenkte sofort ein.
Dieser abrupte Richtungswechsel war sicherlich nur halb so merkwürdig wie der Moment, der erzeugt worden wäre, hätte sich der Pullover umgedreht.
Spinne ich die Situation weiter, hätten sich unsere Blicke unter hundert sofort getroffen, für einen Moment verloren und alle Beteiligten hätten sich unangenehm in das Komplex verwickelt gefühlt. Jeder wäre vermutlich gleichermaßen aufgeschmissen gewesen und er wie ich in Erklärungsnot. Aber gab es da etwas zu erklären? Hätte man so tun können “als ob”? Ich war an einem Ort, auf einem Weg, den ich nicht ausgesucht hatte aber mir dennoch nicht ganz unbekannt war. Meine Begleitung gab doch aber heute die Richtung vor und war auf einmal ein wenig verwirrt.
Noch mehr Gesichter die den langen Menschen neben mir und meine heiße Stirn jetzt musterten.
Erneut verliere ich mich in Gedanken. An dich. War das das Leuchtfeuer? die Postkarte. Neben uns der Strauß Blumen? die Briefmarke. Die schwungvoll nach hinten gekämmten, grauen Haare am Ende der Streifen, der schaukelnde Gang, das sofort aufsteigende Gefühl von Nähe, das mich durch die Wellen voller Entdeckungen und mutigen Aktionen leiten soll und auch vor Gefahren warnt? Oder zumindest hilft die Position zu bestimmen, in der ich mich, wir uns, befinden? Ich bin abgebogen und errneut an einem Ort der Insel angelangt, mit dem Gefühl knapp etwas verpasst zu haben weil sich in der Szene nicht die Handlung im dazugehörigen Zeit-Raum-Kontinuum erzeugen lies. Ich jedenfalls ließ mich sehr von der naiven Miene meiner Gedanken leiten, hier dennoch richtig zu sein. Ein solcher gesenkter Blick hat es hinter den Ohren und wartet nur auf die passende Gelegenheit.
Ein saures Eis, ein Souvenir am Straßenrand und ein Kaffee später verabschiedete ich mich, ging die Straßen zurück denen ich zum Treffpunkt an der Kirche gefolgt war und stellte mir die besondere Begegnung des entfernten Profils näher vor. Den Duft den ich wahrgenommen hätte, der in der Melancholie ebenso Selbstsicherheit wie eine Welt von Träumen suggerierte. Das bewusste Lächeln, das die schönen Worte losließ die mich umschwirrt hätten, für eine normale Unterhaltung eigentlich hochtrabend und geschraubt klingen würden doch von ihm, wie adlig, mehr als passend und echt. Die liebenswürdigen, wachen Augen mit blauäugigen Blicken die fein sorgfältig beobachtend über jeden meiner Züge wandern würden, während ich versucht hätte abgelenkt und begierig zu folgen. Was ich erfahren würde:
Er war älter als vierzig - wirkte aber wie etwas über dreißig - die Ruhe in der Aufgeregtheit die sein Antlitz sanft machte, gehörte zu seinen Arbeitsmitteln, ebenso wie die leicht über seine Lippen kommenden Weisheiten und sein überzeugender Blick. Er galt als kompetenter und erfolgreicher Fachmann in seinem ungewöhnlichen und eher seltenen Tätigkeitsbereich der sich mir wohl auch gerades deshalb noch nicht ganz erschließen ließ.
Angestrengt forschte ich in meinem Kollektiv an Erinnerungen. Das alles wusste ich bereits, ich tastete nur an der plätschernden Oberfläche nach seiner gewohnten Stimme und versuchte ihm nah zu sein.
Wie weit bist du entfernt? So weit, dass wir uns Postkarten schicken würden?
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